Ich bin alter Linker, und zwar im Wortsinn - sozialisiert im linken Kontext der 70er und 80er Jahre, und schon damals war uns klar, dass weder “der Ami” noch “der Russe” die Guten sind. Trotzdem bzw. gerade deswegen war Pazifismus immer der Weg und das Ziel.

Dennoch war für mich immer klar: Wer mich angreift, bekommt auf die Fresse und muss eventuell sogar sterben, wenn der Angriff keine andere Option lässt. (Den Wortlaut habe ich bewusst so aggressiv formuliert, um die Eindeutigkeit und Absolutheit meiner Haltung klarzustellen.) Ich bin im Alltag und im Sport nicht aggressiv, überhaupt nicht, sondern nehme diesen Standpunkt ausschließlich beim Thema Selbstverteidigung ein. (Großgeworden in einem eher gewaltbereiten Milieu, zumal die 70er und 80er als Hochzeit der Kriegskinder in Sachen Gewalt in jeder Form schwierig waren.)

Frage 1: Bin ich mit dieser Haltung zu aggressiv, um Mitglied zu werden?

Das “aktuelle” Programm (wohl auch schon locker 10 oder 15 Jahre alt, wenn ich das richtig sehe) unterschreibe ich fast in allen Abschnitten. Allerdings fällt mir der Stift aus der Hand bei bestimmten Themen, die ich unter “naiver Pazifismus” subsummiere. In 4.5 im Programm geht es los, und in 4.6 klappe ich mental völlig weg… Da wird Russland explizit als einzubindende Entität erwähnt - ein kolonialistisch und imperial handelnder Staat reinsten Wassers, eine Diktatur ohnehin, die ohne sehr harte Gegenmaßnahmen, sprich militärische Gewalt, niemals Ruhe geben wird bei der Unterdrückung im eigenen Land und gegen andere Staaten… Kein anderer Staat wird im Programm explizit erwähnt, obwohl es genug da draußen gibt, die Unterstützung im Kampf gegen Imperialismus benötigen, insbesondere auch gegen russischen Imperialismus. (Gibt ganz klar noch mehr Kandidaten beim Thema Imperialismus, Grüße gehen über den großen Teich und nach Asien.)

Frage 2: Ernsthaft? Bundeswehr, Nato, EU-Staaten und UNO enteiern, und dann Russland explizit als Partner einbinden wollen? Das ist die offene Einladung an das Terrorregime dort, erst das Baltikum und danach weitere Staaten aus dem Einflussbereich der UdSSR mit Gewalt zu annektieren. Mache ich mich mit einer Mitgliedschaft zu einem Lakaien von Putins Diktatur? Oder wie ist dieser Punkt zu verstehen?

Ich bin - trotz eventuell drastischer Formulierungen, die Schlaglichter setzen sollen in einem kurzen Text - ernsthaft an einer realistischen Einschätzung interessiert. Danke.

  • nibbler@discuss.tchncs.de
    link
    fedilink
    arrow-up
    2
    ·
    2 months ago

    mir geht es wir dir, habe mich im Bundestagswahlkampf intensiv damit beschäftigt.

    an Relativierungen seitens der linken hat es nie gefehlt. aber ein Bekenntnis zur militärischen Unterstützung der Ukraine gab es quasi nie. immer Verweise auf diplomatische Bemühungen etc als Ausflüchte.

      • nibbler@discuss.tchncs.de
        link
        fedilink
        arrow-up
        0
        ·
        edit-2
        2 months ago

        hab ich eigentlich im folgenden in meinem Post ausgeführt… alles halt aus persönlichen Gesprächen zb mit den Wahlkämpfen vor meinem Supermarkt. immer Einzelmeinungen etc, klar.

        Edith: aber okay, vielleicht bekomme ich hier konkrete Aussagen: während wir eine diplomatische Lösung suchen, sollten wir weiterhin schweres Kriegsgerät an die Ukraine liefern?

        • theolodis@feddit.org
          link
          fedilink
          arrow-up
          1
          ·
          2 months ago

          Ich denke das Problem ist, dass die Rüstungsgüter aus Privatwirtschaft kommen, und Leute sich daran bereichern.

          Meiner Meinung nach (kein PdL Mitglied), müsste eine staatliche Rüstungsproduktion entstehen (oder verstaatlicht werden), und das Ergebnis dieser Produktion kann dann verwendet werden, um eine Seite in Kriegen zu unterstützen ohne von kapitalistischen Interessen korrumpiert zu werden.

          Allerdings hätte ich auch dann noch die Sorge, dass wir aus Reflex noch Kolonialmächte wie Istael bedingungslos in ihren Genoziden unterstützen würden. Und ich weiß nicht, ob deutsche Waffen wirklich in Genoziden eingesetzt werden sollten.

          • nibbler@discuss.tchncs.de
            link
            fedilink
            arrow-up
            1
            ·
            edit-2
            2 months ago

            da du über Waffen redest, gehe ich davon aus, dass du dich auf meinen edit beziehst.

            wenn dem so ist: genau das mein ich! konkrete Frage (Waffen liefern?) wegen konkretem Problem (russischer Angriffskrieg). ich bekomme von linken aber nur die Probleme von Waffenlieferungen erklärt. für ein ‘keine Waffenlieferungen mehr’ reicht es nicht. sagst du auch nicht. wir müssten jetzt erst Mal unsere Gesellschaft umstrukturieren und den Kapitalismus bekämpfen, dann liefern wir selbstverständlich ideologisch einwandfrei produzierte Waffen an die Ukraine. also an Russland weil Ukraine gibt es dann nicht mehr.

            Ausflüchte und Relativierungen. das meinte ich @haui

            • theolodis@feddit.org
              link
              fedilink
              arrow-up
              0
              ·
              edit-2
              2 months ago

              Ich denke, du missverstehst mich. Aktuell werden deutsche Waffen geliefert, und meiner persönlichen Meinung nach ist das bis auf obiges Problem auch gut so.

              Damit die Linke Einfluss auf Waffenlieferungen haben könnte müsste sie ja erst einmal substanziell Wähler dazu gewinnen, und dann könnte eine verstaatlichung ja auch zeitnah in die Wege geleitet werden.

              Ich verstehe wirklich dein Problem nicht.

              • nibbler@discuss.tchncs.de
                link
                fedilink
                arrow-up
                1
                ·
                2 months ago

                mein Problem war, dass du die ganz konkrete Frage von mir, ob Waffen liefern oder nicht, in deinem Post nicht beantwortet hast. das hast du jetzt nachgeholt. ich kann mich deiner Meinung vollumfänglich anschließen.

                schade, weil dass bis zu deiner Ergänzung wirklich so war wie ich es meistens erlebe :p

                • theolodis@feddit.org
                  link
                  fedilink
                  arrow-up
                  0
                  ·
                  2 months ago

                  Weil die Frage nicht relevant ist. Die Linke hat etwa 10% der Sitze im Bundestag und aktuell werden Waffen geliefert.

                  Deswegen ist ja die Frage, ob es eine profit-orientierte Waffenindustrie geben sollte deutlich interessanter. Oder welche kriterien Deutschland bei der Lieferung von Waffen ansetzen sollte (Stichwort Genozid von Israel in Gaza)

                  Nehmen wir an, die Linke hätte bei den nächsten Wahlen 51%, wie wahrscheinlich ist es, dass der Ukraine Krieg dann noch heiß ist?

                  Und nur zur Sicherheit nochmal der Disclaimer, ich bin kein Mitglied der PdL.

  • Novocirab@feddit.org
    link
    fedilink
    arrow-up
    2
    ·
    2 months ago

    Hier erstmal ein sehr interessanter Artikel zur ganzen Thematik “Pazifismus seit der russischen Großinvasion und seit Trump 2.0”: https://www.kontextwochenzeitung.de/debatte/731/die-friedens-tauben-10151.html

    In der Linken sind mittlerweile recht Viele – nicht nur aber auch gerade bei den Neumitgliedern – die sich auch mit den neueren Positionen der Partei zum Thema Krieg und Frieden, Nato, Russland, Waffenindustrie und -exporte nicht so richtig identifizieren. Diese Debatte werden wir jetzt zunehmend in unserer Partei führen; inwiefern sich das dann in geänderten Positionen der Gesamtpartei niederschlägt, muss sich zeigen.

  • Teppichbrand@feddit.org
    link
    fedilink
    arrow-up
    2
    ·
    edit-2
    2 months ago

    Es wurden hier schon viele gute Dinge geschrieben, darum nur noch ein paar persönliche Gedanken:
    Ich bin seit einen halben Jahr Genosse und habe die Linke in keiner Situation als Putin-Lakai erlebt. Das ist ein ständig wiederholtes Mantra der anderen Parteien, weil es so emotional ist, sofort für Empörung sorgt und jede sonstige Auseinandersetzung mit den Zielen und Forderungen der Linken überflüssig macht.
    Keine Partei wird zu 100% deine Positionen abdecken (es sei denn du gründest deine eigene und benennst sie auch nach dir), darum hat mir persönlich eine 95% Übereinstimmung gereicht. Wenn wir so weit sind, dass wir über die letzten 5% diskutieren müssen, haben wir gemeinsam schon viel erreicht! Ich bin fest entschlossen, den ewig linken Fehler der Zersplitterung und Abgrenzung nicht weiter zu führen, sondern mit frischem Schwung gemeinsame Ziele zu verfolgen und unterschiedliche Meinungen im demokratisch-antikapitalistsch-linken Spektrum anzunehmen.

    • ladicius@lemmy.worldOP
      link
      fedilink
      arrow-up
      2
      ·
      edit-2
      2 months ago

      Gute Perspektive, die Sache mit den 95%… Schön wäre das, tatsächlich.

      Ich kümmere mich nicht um den Dünnpfiff, der aus anderen Parteien kommt - ich habe explizit das wirklich richtige und wichtige Parteiprogramm der Linken gelesen (es fängt mit Brecht-Lyrik an 🤩 ) und darin allerdings eben diese unverständlichen und fast absurd wirkenden Absätze gefunden.

      Ich werde nach all den Kommentaren noch mal eine Nacht drüber schlafen und dann wohl eintreten. In dem Sinne: Bis bald!

  • kossa@feddit.org
    link
    fedilink
    Deutsch
    arrow-up
    2
    ·
    edit-2
    2 months ago

    @ladicius@lemmy.world

    Ich frage mal andersrum: wie kommen wir denn zu einer friedlichen Ordnung in Europa OHNE Russland irgendwie “einzubinden”? Ich glaube, keiner bei den Linken glaubt ernsthaft, dass man morgen oder übermorgen mit Putin zu so einer Lösung kommt. Aber für das hehre Ziel von Frieden und Sicherheit in Europa muss man sich irgendwie und irgendwann mit Russland einig werden.

    Ich vermute ehrlich gesagt auch, dass die Ablehnung von Waffenlieferungen nicht mit ‘Russlandfreundlichkeit’ zu tun hat. Das lesen gerade alle so aus dem Programm heraus, weil der aktuelle Konflikt das hergibt, aber das ist ein Grundsatzpunkt, keine Waffen zu liefern, vor allem nicht in Krisengebiete. Das hätte ja nur was mit ‘Russlandfreundlichkeit’ zu tun, wenn die Linke in anderen Kontexten ständig Lieferungen fordern würde, nur hier nicht.

    Ehrlich gesagt schwanke ich immer, ob ich das gut oder schlecht finde, aber als positiven Aspekt daran sehe ich immerhin, dass eine Partei mal zu ihren Grundsätzen steht und nicht realpolitisch sofort umfällt, weil es mal akut schwierig ist zu den Grundsätzen zu stehen.

    Edit: und diesen Stance “ich finde alles gut, was die Linken wollen, nur NATO/Ukraine gefällt mir nicht, deswegen wähle ich die nicht” gibt es ja sehr sehr häufig. Aber ich frage mich auch, was diese Menschen dann sonst so wählen und gewählt haben. Hab das noch nie von einer anderen Partei gehört. “Ich finde alles gut, was die SPD will, aber ich wähle die nicht, weil die damals keine Waffen an Afghanistan, Irak und Syrien geliefert haben”

    • ladicius@lemmy.worldOP
      link
      fedilink
      arrow-up
      3
      arrow-down
      1
      ·
      2 months ago

      “Diese Menschen” haben vielleicht die Grünen gewählt in der Hoffnung, dass deren Realo-Flügel mehr wuppen darf. Habeck zum Beispiel war der für eine lebenswerte Zukunft beste Politiker, den die Bundesrepublik seit Jahrzehnten in leitender Position hatte. Der Mann hat geleistet und eingesteckt wie kein zweiter, ich verstehe seinen Rückzug.

      Deinen Satz mit “akut schwierig” finde ich mit und ohne Goldwaage bezeichnend für die Definition von dem, was ich unter naivem Pazifismus verstehe - da sterben Menschen, jeden Tag, und wir sitzen hier warm und trocken und gönnen uns hehres Ethos auf unserer Insel der Glückseligen. “Akut schwierig” heißt in einem Krisengebiet (Naher Osten und Afrika lassen grüßen) nämlich, dass nichts mehr an Infrastruktur und Sicherheit funktioniert und Menschen rund um die Uhr terrorisiert, traumatisiert und getötet werden - und da soll ich zuschauen?

      Nein. Wenn ich eintrete, werde ich den Realo-Flügel der Linken suchen und stärken. Und mal eine starke Gegenthese: Wir müssen Kriegsgerät produzieren und in Krisengebiete liefern und vielleicht sogar selber anwenden, um den Schwachen dort zu helfen und Angriffe zurückzudrängen - der Schutz schwacher und bedrohter Menschen ist quasi das Kerngebot linker Politik und sowieso aller Mitmenschlichkeit. Das wird nicht immer gut gehen, Krieg ist immer scheiße, ist allerdings besser als “thoughts and prayers” und Appeasement und untätiges Zuschauen beim Morden.

      Wenn die Waffen schweigen auf allen Seiten, dann reden wir über Frieden - vorher nicht. Ich freue mich auf die Diskussion dazu in den Gremien 😉

      • Teppichbrand@feddit.org
        link
        fedilink
        arrow-up
        2
        ·
        edit-2
        2 months ago

        … doch erst müssen wir gewinnen!

        Ich respektiere deine Position, kann sie auch nachvollziehen, meine ist es trotzdem nicht. Und das ist auch gut so. In vielen Situationen gibt es nicht richtig und falsch, naiv und klug, sondern ein großes chaotisches Chaos mit Dilemma und Unabwägbarkeiten. Wir manövrieren uns halt so durch und lernen. Oder auch nicht.
        Aber: Es darf aber keine Milliardäre geben! Da sind wir uns doch einig.

      • kossa@feddit.org
        link
        fedilink
        Deutsch
        arrow-up
        1
        ·
        2 months ago

        Das ist ja aber ein bisschen, was ich mit meinem Edit zum Ausdruck bringen wollte: warum ist denn die Haltung zur Ukraine hier so entscheidend? Ich verstehe ja den Punkt voll, aber dann zu sagen “die Grünen machen das besser” und ihnen dann nicht genauso übel zu nehmen, dass sie nicht, wasweißich, Waffenlieferungen in den Gazastreifen fordern, oder wenigstens Israel mal scharf verurteilen, verstehe ich nicht.

        Es gibt sehr viele Orte, wo gerade Menschen sterben und unterdrückt werden und ‘wir’ schauen zu (im besten Fall) oder enablen sogar die Verbrecher, aber nur im Fall der Ukraine und der Linken höre/lese ich “das ist SO schlimm, dass ich die gesamte Partei ablehne, obwohl ich sonst alles was sie fordern für richtig halte”.

        • ladicius@lemmy.worldOP
          link
          fedilink
          arrow-up
          1
          ·
          2 months ago

          Wegen Grüne: Realpolitik - die hatten eine Chance, in die Regierung zu kommen, und das war die Kompromisse wert. Auch sonst stehen die Grünen für eine Menge guter Sachen, auch wenn da bestimmt nicht alles richtig ist.

          Wegen Linke: Ich lehne die Linke nicht ab, sondern wundere mich lediglich über diesen einen Punkt, der aus dem ansonsten wirklich quasi 100% richtigen Programm heraussticht. Mir wurde hier erklärt, wie ich daran arbeiten kann, und das werde ich als Mitglied tun, neben den anderen wichtigen Aufgaben, die erledigt werden müssen.

        • 0xD@infosec.pub
          link
          fedilink
          arrow-up
          1
          ·
          edit-2
          2 months ago

          Ich bin mit deutschen Parteien nicht so vertraut, aber bin in Österreich bei den Grünen. Für mich war der ausschlaggebende Punkt, dass sie vielleicht etwas gemäßigter sind bzw. auftreten als die Kommunisten, aber dafür quer durch die Bank für das Richtige einstehen, auf eine pragmatische, realpolitische Art und Weise die mich beeindruckt hat. Es geht um Veränderung in die richtige Richtung, auch wenn es nicht sofort der Idealzustand ist. Wirkung vor Ideologie.

          So in etwa nehme ich auch die deutsche Linke bzw. die Grünen wahr. Aber, wie gesagt, ohne viel Ahnung.

  • alleycat@feddit.org
    link
    fedilink
    arrow-up
    2
    ·
    edit-2
    2 months ago

    Das Parteiprogramm einer Partei wird von ihren Mitgliedern gemacht. In einer Mitgliederversammlung kannst du mit deinem Stimmrecht Kandidat:innen in den Landes- und Bundesparteitag entsenden, oder dich selbst zur Wahl stellen. In den Parteitagen können Anträge zur Änderung des Parteiprogramms eingebracht werden, über die abgestimmt wird.

    In jeder Partei wirst du Positionen finden, die deinen Interessen entgegenstehen. Tritt in die Partei ein, mit der du die größte Übereinstimmung hast und suche dir dann für deine Position Mehrheiten.

    Und um ehrlich zu sein: gerade unter den Neuankömmlingen teilen viele deine Position (ich auch!). Aber ehe das in der Bundespolitik angekommen ist, braucht es Zeit (und Parteitage). Tritt bei, dann haben wir eine Stimme mehr!